Als Alphabetisierung bezeichnet man den Prozess der Vermittlung der Lesefähigkeit sowie ggf. auch der Schreibfähigkeit, unabhängig davon, ob die erlernte Schrift eine alphabetische ist. Der Grad der Lese- oder Schreib- bzw. Schriftkompetenz einer Bevölkerung kann prozentual für einzelne Bevölkerungsschichten sowie teilweise auch für historische Epochen angegeben werden. Alphabetisierung gilt als Basisbildung. Der Begriff Alphabetisierung zentriert sich auf das einzelne Mitglied einer Gruppe. Das Fehlen einer, in einer Kultur verankerten, Lese- bzw. Schreibfähigkeit[1] wird als Illiteralität bezeichnet.
Im Römischen Reich einschließlich der Provinzen waren weite Teile der Bevölkerung alphabetisiert. Es existierte ein dreigliedriges staatliches Schulsystem, das auch einfache Bauern und Sklaven auf dem Land erfasste, sowie ein verbreitetes Bibliotheks- und Verlagswesen.[2] Mit dem Untergang des Römischen Reiches ging neben Schulen und Alphabetisierung auch das Gesamt der antiken Literatur fast vollständig verloren. Ein der Antike vergleichbares Niveau der Herstellung und Aneignung von Schrift wurde erst zum Ende des 18. Jahrhunderts wieder erreicht.
Im Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit war der Anteil der Lese- und Schreibkundigen gering und konzentrierte sich in den Städten sowie an den Höfen und im Klerus. Im 7. bis 13. Jahrhundert wurden überhaupt nur sehr wenige neue Titel verfasst. Den ersten wesentlichen Impuls zur nachhaltigen Alphabetisierung Europas lieferten die Reformation[3] und die mit ihr einhergehende Ausbreitung des Buchdrucks, wodurch eine massenhafte und ökonomische Verbreitung von zunächst vorwiegend religiösen, dann aber auch weltlichen Schriften in Gang gesetzt wurde. Das Gedankengut der sich über drei Jahrhunderte ausstreckenden Aufklärung entfaltete seine Breitenwirkung gleich zu Beginn vor allem durch das Flugschriftenwesen, das auf eine Einbindung der Bevölkerung in die verschiedenen politisch-theologischen Diskurse abzielte. Einen weiteren Impuls lieferte die Französische Revolution im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, was sich durch die allmählich einsetzende Industrialisierung und Verstädterung im Laufe des 19. Jahrhunderts wiederum beschleunigte. „Die Zeit um 1860 markierte einen Wendepunkt“.[4]
„Um 1920 waren die männliche Bevölkerung der maßgebenden europäischen Länder und ein Teil der weiblichen Bevölkerung des Lesens und Schreiben kundig. […] Nur Großbritannien, die Niederlande und Deutschland hatten um 1910 eine Alphabetisierungsrate von 100 Prozent erreicht. Für Frankreich lag sie bei 87 Prozent, für Belgien […] bei 85 Prozent.“[4] „Deutlich niedriger fielen die Werte für den europäischen Süden aus: 62 Prozent für Italien, 50 Prozent für Spanien, nur 25 Prozent für Portugal.“[4]