Die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, die als Autoren der vier biblischen Evangelien gelten, werden in der christlichen Ikonografie seit dem 4. Jahrhundert durch vier geflügelte Symbole dargestellt. Die häufigste Zuordnung seither lautet: Ein Mensch versinnbildlicht Matthäus, der Löwe Markus, der Stier Lukas und der Adler Johannes.
Bis zum 13. Jahrhundert wurden die Symbole auch zu einem einzigen Gebilde zusammengefasst, das die aus dem Griechischen übernommene Bezeichnung Tetramorph trägt. Dies bedeutet Viergestalt.
Wahrscheinlich liegen die religionsgeschichtlichen Wurzeln des Tetramorphs in der babylonischen Mythologie. Dort symbolisieren die vier Gestalten die vier männlichen Planetengötter. Der Stier stand für den babylonischen Stadtgott Marduk, der Löwe für den Kriegs- und Unterweltgott Nergal,[1] der Adler für den Windgott Ninurta und der Mensch für Nabu, den Gott der Weisheit. Damit einher gehen altorientalische Vorstellungen von Hütern der Weltecken[2] und von Trägern des Himmelsgewölbes im ersten (Stier), vierten (Löwe), siebten (Skorpionmensch) und zehnten Sternbild (Wassermann, in dessen Nähe sich das Sternbild des Adlers befindet) des altbabylonischen Tierkreises.[3]
Die Symbole der christlichen Wirkungsgeschichte gehen zurück auf Visionen aus dem Buch des Propheten Ezechiel, vornehmlich auf die im 1. Kapitel:
„Ich sah: Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke mit flackerndem Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer strahlte es wie glänzendes Gold. Mitten darin erschien etwas wie vier Lebewesen. Und das war ihre Gestalt: Sie sahen aus wie Menschen. Jedes der Lebewesen hatte vier Gesichter und vier Flügel. [Auch Gesichter und Flügel hatten die vier.] … Und ihre Gesichter sahen so aus: Ein Menschengesicht (blickte bei allen vier nach vorn), ein Löwengesicht bei allen vier nach rechts, ein Stiergesicht bei allen vier nach links und ein Adlergesicht bei allen vier (nach hinten).“
Im Buch Ezechiel leitet die Vision die Beauftragung des Propheten ein, das Volk Israel im babylonischen Exil zur Umkehr zu mahnen, um die spätere Rückkehr nach Judäa zu ermöglichen. Bei Ezechiel finden sich weitere Tempelvisionen, die sowohl ein Doppelgesicht zweier Cherubim als auch das Viergesicht in anderer Reihenfolge und Zusammensetzung beschreiben: