Gotik


Die Gotik bezeichnet eine Epoche der europäischen Architektur und Kunst des Mittelalters, die sich in ihren verschiedenen nationalen Ausprägungen der Früh-, Hoch- und Spätgotik zeitlich etwa von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis um 1500 erstreckt. Der zuvor vorherrschende Bau- und Kunststil ist als Romanik, der nachfolgende als Renaissance bekannt.

Zunächst durch Giorgio Vasari als abwertende Beschreibung der Architektur verbreitet, etablierte sich der Begriff im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich auch für die zeitgleich entstandene Malerei und Bildhauerei. Die gotische Architektur entstand um 1140 in der Île-de-France (Paris und Umgebung) und währte nördlich der Alpen bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der gotische Stil ist nur in der Architektur genau abzugrenzen, während dies auf den Gebieten der Plastik und Malerei nicht in gleicher Klarheit möglich ist. Herausragende Kunstschöpfung ist die gotische Kathedrale, die als Gesamtkunstwerk Architektur, Plastik und (Glas-)Malerei des Mittelalters vereint. Sie steht am Anfang einer neuen Gestaltung des Kirchenraums, die durch die erstmalige Vereinigung burgundischer (Spitzbogen) und normannischer Formelemente (Rippengewölbe) und die weitere Entwicklung innovativer Baumaßnahmen in Erscheinung tritt.[1] Außerdem erlebte auch die Profanarchitektur besonders im städtischen Umfeld eine erste Blüte: Neben adeligen Wohnsitzen sind besonders Rathäuser und die nur selten im ursprünglichen Zustand erhaltenen Bürgerhäuser wichtige Bauaufgaben.[2]

In der Architektur unterscheidet man die Phasen der Früh-, Hoch- und Spätgotik, die in den verschiedenen europäischen Kunstlandschaften zu unterschiedlichen Zeitpunkten übernommen wurden und sich dann teilweise auch voneinander unabhängig weiterentwickelten. So spricht man in England vom Early English Style, dem Decorated Style und dem Perpendicular Style. In Frankreich unterscheidet man die Frühgotik Gothique primitif (1130–1180), den ausgereiften Gothique classique (1180–1230), dann den verfeinerten Gothique rayonnant, auf den der spätgotische Style flamboyant folgt. Nicht nur im Norden Deutschlands ist die Backsteingotik vorzufinden.

In der Nachgotik lebte der gotische Baustil auch außerhalb seiner Epoche fort und ist als Barockgotik als Mischform zwischen Barock und Gotik sogar in der Barockzeit nachweisbar. Im 19. Jahrhundert fand der Baustil der Neugotik als Spielart des Historismus neues Interesse.


Kathedrale von Beauvais, nach zwei Einstürzen unvollendet gebleiben
Auch das ist Gotik: Hospitalkirche St. Georg in Hadmersleben, Sachsen-Anhalt wohl vor 1470, mit Spitzbogen­fenstern und polygonalem 5/8-Chorschluss
Notre-Dame-des-Sablons in Aigues-Mortes, Südfrankreich, 1. Hälfte 13. Jh., eine gotische Basilika ohne Gewölbe
Erster gotischer Chorumgang der ehemaligen Klosterkirche Saint-Denis, vor 1144
Chor von Notre-Dame de Paris, frühgot. Emporenbasilika 1162–1183, Fenster nach 1220 hochgot. verändert
Hochgotischer dreigeschossiger Wandaufriss am Langhaus der Kathedrale von Amiens, ab 1220
Sacré-Cœur (ab 1090) in Paray-le-Monial: Ton­nen- u. Kreuz­grat­gewölbe, Spitz- und Rund­bogen­fenster
Early English: Westfassade der Kathedrale von Wells, um 1260
Kathedrale von Cosenza mit frühgotischen Fenstern
Lichtdurchfluteter Raum: Chor des Veitsdoms in Prag
Doppelturmfassade der Notre-Dame de Laon, vor 1200 begonnen
Freiburger Münsterturm, eine der wenigen in der Gotik fertiggestellten großen Einturmfassaden
Schnitt durch die hochgotischen Bauteile der Abteikirche St. Denis
Schnitt durch das Langhaus der Kathedrale von Reims
Oberhalb der Seitenschiffe die übereinanderliegenden Strebebögen. Neben den Seitenschiffen, eingebunden in die Außenwände, stehen die Strebepfeiler.
Schematischer Aufbau eines gotischen Gewölbes
Gotisches Gewölbe: Schlussstein an der Kreuzung der Rippen
Notre-Dame de Dijon, doppelschaliges Mauerwerk im Mittelschiff
Magdeburger Dom, Langhaus: statt ver­glas­tem Triforium bis nah zu den Arkaden herab gezogene Obergaden
Betonung der Vertikalen: Kathe­drale von Beauvais, mit 48,5 m das höchste Kirchengewölbe der Welt
Frühgotisches Kelchknospenkapitell
Großflächiges Rosettenfenster mit filigranem Maßwerk im Rayonnant-Stil am Südquerhaus der Kathedrale Notre-Dame in Paris
Typisches gotisches Steinmetzzeichen an einem Profil
Abteikirche Bath im Per­pen­di­cular Style, Fächer­gewlöbe, hier kein Triforium
Die Sainte-Chapelle in Paris, ein Meisterwerk des hochgotischen Rayonnantstils
Spätgotischer Flamboyantstil der Abteikirche in Vendôme in Frankreich
Flamboyant-Maßwerk der Abteikirche St. Ouen in Rouen
Magdeburger Dom, ab 1207/1209, von Anfang an gotisch konzipiert
Bremer Dom mit den am Magde­burger und einigen Zis­ter­zien­ser­kirchen ver­miss­ten Strebe­bögen. Back­stein­kapellen hoch­gotisch, Vierungsturm um 1900
Westfassade von Westminster Abbey in London
Das Oktogon der Kathedrale von Ely, ein Meisterwerk des Decorated Style
Oberkirche von San Francesco in Assisi, dem Gründungsbau der Bettelordensgotik
Dom von Siena, ab 1284
Der Mailänder Dom (ab 1386) hat in der italienischen Gotik eine Ausnahmestellung
Bettelordenskirche San Zanipolo der Dominikaner in Venedig
Dogenpalast in Venedig (ab 1340), einer der bekanntesten gotischen Profanbauten
St.-Anna-Kirche in Vilnius, 1495–1500
Der Nidarosdom in Trondheim, Westfassade großenteils Neukreation des 19. u. 20. Jh.
Westfassade des Nidarosdoms vor dem vorbildlosen „Wieder“-Aufbau
Santa Maria del Mar in Barcelona, Flachdachbasilika mit weitgehend schmucklosen Fassaden
Kloster Batalha, Portugal, prächtige Balustraden, feingliedriges Maßwerk
Kathedrale von Segovia, Übergangsstil aus Gotik und Renaissance
Stadtbefestigung von Nürnberg beim ehemaligen Maxtor
Beispiel für die Fassung von Figuren an gotischen Kirchen: Das Tympanon des Freiburger Münsters (Fassung des 19. Jahrhunderts)
Stralsunder St.-Nikolai-Kirche: Ausgemaltes Kreuzrippengewölbe
Limburger Dom, Westseite
Bremer Dom 1876 mit Emporen und geweißten Wänden
Bremer Dom, historistische Ausmalung von 1900/01
Orgelempore des Berner Münsters, Konsolen „von Statuen gereinigt“