Als Radikale bezeichnet man in der Chemie Atome oder Moleküle mit mindestens einem ungepaarten Valenzelektron. Die meisten Radikale sind besonders reaktionsfreudig. Radikale werden mit einem „Punkt“ dargestellt, der das ungepaarte Elektron symbolisiert, zum Beispiel Stickstoffmonoxid (NO•). Eine Verbindung mit zwei ungepaarten Elektronen heißt Diradikal (auch Biradikal), bei drei ungepaarten Elektronen spricht man von einem Triradikal usw. Radikale spielen eine wichtige Rolle bei bestimmten Oxidationsprozessen, bei Kettenpolymerisationen und bei manchen Substitutionsreaktionen.
In der Nomenklatur werden Radikale mit der Endung -yl bezeichnet, für Biradikale wird -yliden verwendet. Ausnahmen sind hierbei die Diradikale Methylen, Silylen und Aminylen. Beispiele sind -oxyl für Verbindungen mit radikalischem Sauerstoff (z. B. 2,2,6,6-Tetramethylpiperidinyloxyl) oder Thiyl-Radikale mit radikalischen Schwefelatom.[1]
Zur Initiierung radikalischer Reaktionen in der chemischen Synthese werden dem Reaktionsgemisch häufig sogenannte Radikalstarter zugesetzt. Radikalstarter sind Moleküle, die sich besonders leicht – beispielsweise durch Bestrahlung mit ultraviolettem Licht – in Radikale spalten lassen. Beispiele für Radikalstarter sind: Azobis(isobutyronitril), Dibenzoylperoxid, Dilauroylperoxid, Di-tert-butylperoxid, Diisopropylperoxydicarbonat und Kaliumperoxodisulfat.[2]
Da die meisten Radikale exergonisch reagieren, sind sie sehr reaktiv und dadurch auch kurzlebig (< 1 Sekunde). Das ungepaarte Elektron befindet sich dabei gewöhnlich an C-, N-, O- und Hg-Atomen oder Halogenen.
Es sind auch Radikale bekannt, die nicht sofort weiterreagieren und über einen gewissen Zeitraum teilweise sogar als isolierbare Stoffe vorliegen. Ein Beispiel für diese „stabilen Radikale“ ist das Triphenylmethylradikal. Wie andere unreaktive Radikale steht es mit seinem Dimer (das sogenannte Gomberg Dimer) in Lösung im Gleichgewicht. Das Dimer des Triphenylmethyl-Radikals ist das in der Abbildung gezeigte 3-Diphenylmethylen-6-triphenylmethyl-cyclohexa-1,4-dien (und nicht Hexaphenylethan, wie sein Entdecker Moses Gomberg annahm).[3] Faktoren, die zu stabilen Radikalen führen, sind zum einen eine Resonanzstabilisierung des Radikals, zum anderen eine Hinderung der Dimerisierung, beispielsweise durch sterisch anspruchsvolle Substituenten. Auch in der Natur kommen stabile Radikale vor. So beinhaltet zum Beispiel das Enzym Ribonukleotidreduktase (RNR) ein Tyrosylradikal mit einer Halbwertszeit von 4 Tagen.
C-zentrierte Radikale zeigen eine zunehmende Stabilität in der Reihe Methylradikal < primäres C-Atom < sekundäres C-Atom < tertiäres C-Atom, was durch induktive Effekte und Hyperkonjugation bedingt ist. Außerdem sind sp³-hybridisierte Kohlenstoff-Radikale stabiler als Radikalzentren, in denen der Kohlenstoff eine sp²- oder sp-Hybridisierung aufweist. Auch Aryl- oder Allylgruppen stabilisieren das Radikal.