Eine Reliquie (von lateinisch reliquiae, „Zurückgelassenes“, „Überbleibsel“) ist als Gegenstand kultischer religiöser Verehrung ein irdischer Überrest der Körper oder Körperteile von Heiligen oder ein Überbleibsel des jeweiligen persönlichen Besitzes. Eine Sonderform der Reliquien sind „Berührungsreliquien“, Gegenstände, mit denen Heilige zu Lebzeiten in Berührung kamen oder gekommen sein sollen.
Reliquien finden sich in allen Weltreligionen, vor allem aber im Christentum, im Shintō (vgl. shintai) und im Buddhismus (vgl. Sarira): Als der erleuchtete Buddha hochbetagt starb, wurden nach der buddhistischen Überlieferung seine sterblichen Überreste eingeäschert. Seine Asche, Knochen und Zähne teilten sich mehrere Kleinkönige Nordindiens. Über den Reliquien wurden Hügelgräber (stupas) errichtet, die im Laufe der Zeit immer aufwendiger kultisch ausgestaltet wurden. Auch im schiitischen Islam gibt es Formen der Reliquienverehrung an den Gräbern von heiligen Männern (marabouts).
Bereits in der frühen Kirche entwickelte sich eine besondere Verehrung der Märtyrer. Der erste biblische Beleg für Vorläufer von Reliquien findet sich in der Apostelgeschichte des Lukas, wo die Gläubigen dem heiligen Paulus von Tarsus Tücher wegnahmen und diese dann auf die Kranken legten, die geheilt wurden (Apg 19,12 EU). Mit der Annahme der Unvergänglichkeit des heiligen Leibes Christi entwickelte sich der Glaube an die besondere Kraft der Überreste auch der heiligen Märtyrer. Das Wort Martýrion bedeutet in den Schriften der Väter auch den Ort, wo die Reliquien eines Märtyrers aufbewahrt werden. Lange Zeit wurde der aus der Urkirche herrührende Brauch gepflegt, über den Gräbern von heiligen Märtyrern Kirchen zu errichten (etwa die Peterskirche in Rom). Im Mittelalter ging man in der lateinischen Kirche dazu über, unter oder in den Altar Reliquien einzubetten. Die Ostkirchen setzen, ihrer Tradition folgend, Reliquien in die Mauern ihrer Kirchen. Mit dieser Praxis soll der innere Zusammenhang zwischen der „Gemeinschaft der Heiligen“[1] und der irdischen Kirche versinnbildlicht werden.
Die Reliquienverehrung ist die älteste Form der Heiligenverehrung und seit dem 2. Jahrhundert nachweisbar. In der Spätantike und im Frühmittelalter nahm die Verehrung von Reliquien erheblich zu.[2] Ein früher Hinweis auf den Bedarf an Reliquien von Märtyrern stellt die Passion des Fructuosus, Augurius und Eulogius dar. Sie berichtet, dass in der Nacht nach der Hinrichtung des Bischofs Fructuosus von Tarragona am 21. Januar 259 Gläubige versuchten, so viel wie möglich von der Asche der Verbrannten zu erlangen. Der Bischof, der ihnen im Traum erschienen sei, habe sie allerdings aufgefordert, sie zurückzugeben.[3] Der Kirchenvater Johannes von Damaskus (650–754) weist darauf hin, dass die Heiligen „keine Toten“ seien, und führt eine Reihe von Wundern auf, die durch sie gewirkt worden seien.[4] Seit dem 8. Jahrhundert war die Kirche bestrebt, jeden ihrer Altäre mit einer Reliquie auszustatten.[5]