Seele


Der Ausdruck Seele hat vielfältige Bedeutungen, je nach den unterschiedlichen mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen und Lehren, in welchen er vorkommt. Im heutigen Sprachgebrauch ist hierbei oft die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge beim Menschen gemeint. In diesem Sinne ist „Seele“ weitgehend gleichbedeutend mit „Psyche“, dem griechischen Wort für Seele. „Seele“ kann aber auch ein Prinzip bezeichnen, von dem angenommen wird, dass es diesen Regungen und Vorgängen zugrunde liegt, sie ordnet und auch körperliche Vorgänge herbeiführt oder beeinflusst.

Darüber hinaus gibt es religiöse und philosophische Konzepte, in denen sich „Seele“ auf ein immaterielles Prinzip bezieht, das als Träger des Lebens eines Individuums und seiner durch die Zeit hindurch beständigen Identität aufgefasst wird. Oft ist damit die Annahme verbunden, die Seele sei hinsichtlich ihrer Existenz vom Körper und damit auch dem physischen Tod unabhängig und mithin unsterblich. Der Tod wird dann als Vorgang der Trennung von Seele und Körper gedeutet. In manchen Traditionen wird gelehrt, die Seele existiere bereits vor der Zeugung, sie bewohne und lenke den Körper nur vorübergehend und benutze ihn als Werkzeug oder sei in ihm wie in einem Gefängnis eingesperrt. In vielen derartigen Lehren macht die unsterbliche Seele allein die Person aus; der vergängliche Körper wird als unwesentlich oder als Belastung und Hindernis für die Seele betrachtet. Zahlreiche Mythen und religiöse Dogmen machen Aussagen über das Schicksal, das der Seele nach dem Tod des Körpers bevorstehe. In einer Vielzahl von Lehren wird angenommen, dass eine Seelenwanderung (Reinkarnation) stattfinde, das heißt, dass die Seele nacheinander in verschiedenen Körpern eine Heimstatt habe.

In der Frühen Neuzeit wurde ab dem 17. Jahrhundert das traditionelle, aus der antiken Philosophie stammende Konzept der Seele als Lebensprinzip aller Lebewesen, das die körperlichen Funktionen steuert, zunehmend abgelehnt, da es zur Erklärung der Affekte und Körpervorgänge nicht benötigt werde. Einflussreich war das Modell von René Descartes, der nur dem Menschen eine Seele zuschrieb und deren Funktion auf das Denken beschränkte. An Descartes’ Lehre knüpfte die Debatte über das „Leib-Seele-Problem“ an, die weiterhin andauert und heute Gegenstand der Philosophie des Geistes ist. Dabei geht es um die Frage nach dem Verhältnis von geistigen und körperlichen Zuständen.

In der modernen Philosophie wird ein breites Spektrum von stark divergierenden Ansätzen diskutiert. Es reicht von Positionen, die von der Existenz einer eigenständigen, körperunabhängigen seelischen Substanz ausgehen, bis zum eliminativen Materialismus, dem zufolge alle Aussagen über Mentales unangemessen sind, da ihnen nichts in der Realität entspreche; vielmehr seien alle scheinbar „mentalen“ Zustände und Vorgänge restlos auf Biologisches reduzierbar.


Ein Engel und ein Teufel im Kampf um die Seele eines sterbenden Bischofs. Katalanisches Tempera-Gemälde, 15. Jahrhundert
Das Rad, das den Kreislauf der Wiedergeburten darstellt. Buddhistisches Relief, Felsskulpturen von Dazu, China, 12./13. Jahrhundert
Im Yasukuni-Schrein werden die Seelen gefallener Soldaten verehrt.
Eine Darstellung des Ba-Vogels aus dem Ägyptischen Totenbuch
Ach in Gestalt eines Ibis als Hieroglyphe
Ba-Darstellung aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., Walters Art Museum, Baltimore
Der Gott Hermes (sitzend) als Seelenbegleiter (Psychopompos) mit einer Seele, die er in die Unterwelt begleiten wird. Weißgrundige Lekythos des Phiale-Malers aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr.
Büste des Sokrates (römische Marmorkopie aus dem 1. Jahrhundert eines wahrscheinlich von Lysipp geschaffenen griechischen Bronze-Originals, heute im Louvre)
Büste Platons (römische Kopie des griechischen Originals von Silanion, heute in der Münchener Glyptothek)
Büste des Aristoteles (römische Marmorkopie nach einem griechischen Bronzeoriginal des Lysipp aus dem späteren 4. Jahrhundert v. Chr., heute im Palazzo Altemps)
Skulptur zwei sich umarmender und küssender Personen
Amor und Psyche (römische Kopie einer hellenistischen Skulptur, Kapitolinische Museen, Rom)
Die Seele eines sterbenden Mannes wird beim Verlassen des Körpers von einem Dämon bedroht, ein Engel bietet ihr Schutz. Zeichnung in einer Ars moriendi aus England, 14. Jahrhundert
Während eine Verstorbene begraben wird, kämpfen ein Engel und ein Dämon um ihre Seele. Buchmalerei in einem Stundenbuch aus dem späten 15. Jahrhundert
Ein Engel holt die entweichende Seele eines Sterbenden. Holzschnitt aus dem frühen 16. Jahrhundert
Seelen Verstorbener auf dem Ölgemälde Der Aufstieg in das himmlische Paradies von Hieronymus Bosch († 1516), Palazzo Ducale, Venedig
Psyche (Wolf von Hoyer, 1842), Neue Pinakothek in München
Eine Seele wird zum Himmel getragen. Ölgemälde von William Adolphe Bouguereau (1878), Musée du Périgord
Die Seele des ermordeten Abel steigt zum Himmel. Gemälde von Antonio Balestra, Verona, Museo di Castelvecchio
„Die Seele“, Skulptur von Georgios Bonanos
René Descartes, Gemälde nach einem Original von Frans Hals aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, heute im Louvre
Leonardo da Vincis Skizze der Hirnventrikel, Codex Windsor, 1489