Sturm und Drang


Sturm und Drang bezeichnet eine Strömung der deutschen Literatur in der Epoche der Aufklärung, die etwa von 1765 bis 1785 hauptsächlich von jungen, etwa 20- bis 30-jährigen Autoren getragen wurde. Wegen der „Verherrlichung des ‚Originalgenies‘ als Urbild des höheren Menschen und Künstlers“ (Gero von Wilpert)[1] wird diese Strömung auch als Geniezeit oder Genieperiode bezeichnet.

Die Bezeichnung Sturm und Drang kam in den 1820er Jahren auf. Sie geht auf die 1776 verfasste, 1777 veröffentlichte Komödie Sturm und Drang des deutschen Dichters Friedrich Maximilian Klinger zurück – und damit letztlich auf den aus Winterthur stammenden „Genieapostel“ Christoph Kaufmann (1753–1795). Er hatte Klinger gedrängt, sein Schauspiel so zu nennen, anstelle des ursprünglichen Titels Wirrwarr. Die Uraufführung fand in Leipzig am 1. April 1777 durch die Seylersche Schauspiel-Gesellschaft statt.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das philosophische und literarische Leben im deutschen Sprachraum weitestgehend von der Aufklärung bestimmt. Der Verstand war die bestimmende Größe der Zeit, durch dessen freien Einsatz, wie Kant 1784 formulierte, der „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ erreicht werden soll. Literatur sollte den Leser moralisch bilden, ihn erhellen und seine Vernunft wecken.

Die von der Aufklärung angestrebte Freiheit begünstigte Literaturformen, die der vernünftig argumentierenden und gebändigten Sprache verpflichtet waren. Die Forderung nach einer „regelmäßigen“ Dichtkunst wurde von Theoretikern wie Gottsched auch während der Aufklärung mit Nachdruck vorgebracht. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung, eine gehobene Sprache und die Trennung der Besetzung von Tragödie und Komödie mit Adel und Bürgertum waren Postulate, die man in zahlreichen Dichterakademien die angehenden Literaten lehrte.

Doch bereits in Friedrich Gottlieb Klopstocks Oden von 1750 zeigte sich, dass dieses Reglement zu eng gefasst war. Mit dieser Demonstration gegen die rein verstandesmäßige Haltung der Aufklärung war der Grundstein für die Überwindung der Vernunftherrschaft und eine Entfesslung des Gefühlsüberschwangs, der Fantasie und der Gemütskräfte als neuer dichterischer Grundhaltung gelegt (emotio statt ratio).

Diese erneuernde Bewegung, die wie ein Ruck durch die deutschsprachige Literatur ging, verbindet in ihrem jugendlichen Charakter den „gemütvoll-bürgerlichen Realismus mit dem Idealisch-Politischen und Menschenrechtlichen“:[2] die Fülle des Herzens mit der Freiheit des Gefühls, mit Ahnung und Trieb. Sie zeigt in Einzelschicksalen die politisch-moralische Situation der Zeit auf.


Erstdruck der „Räuber“ von Friedrich Schiller (1781), ohne Nennung des Autors
Erstdruck des „Werthers“ von Johann Wolfgang von Goethe (1774)