Völkerwanderung


In der historischen Forschung wird als sogenannte Völkerwanderung im engeren Sinne die Migration vor allem germanischer Gruppen in Mittel- und Südeuropa im Zeitraum vom Einbruch der Hunnen nach Europa circa 375/376 bis zum Einfall der Langobarden in Italien 568 bezeichnet.[1] Die Völkerwanderungszeit fällt in die Spätantike und bildet für die Geschichte des nördlichen Mittelmeerraums sowie West- und Mitteleuropas ein Bindeglied zwischen der klassischen Antike und dem europäischen Frühmittelalter, da man sie beiden Epochen zurechnen kann.

Die spätantike Völkerwanderung stellt allerdings keinen einheitlichen, in sich abgeschlossenen Vorgang dar. Vielmehr spielten bei den Wanderungsbewegungen der zumeist heterogen zusammengesetzten Gruppen aus dem außerrömischen Barbaricum unterschiedliche Faktoren eine Rolle, wobei in der neueren historischen und archäologischen Forschung viele Aspekte der Völkerwanderung äußerst unterschiedlich bewertet werden. Zentral für die Diskussion sind dabei die Fragen, ob der Zerfall des Weströmischen Reiches Folge oder vielmehr Ursache der „Völkerwanderungen“ war und ob damals tatsächlich „Völker“ umherzogen oder vielmehr Kriegerverbände auf der Suche nach Beute und Versorgung (annona) waren. In der modernen Forschung wird der Begriff „Völkerwanderung“ zunehmend kritisch gebraucht, da nach heutiger Einschätzung das Bild von „wandernden Völkern“ nicht haltbar ist und vielen Gelehrten mittlerweile als widerlegt gilt (siehe auch Ethnogenese) bzw. die Vorstellung einer Völkerwanderung grundsätzlich als „Forschungsmythos“ verworfen wird.[2]

Hauptsächlich, aber nicht ausschließlich betroffen von den Vorgängen war die Westhälfte des seit 395 de facto geteilten Römischen Reiches. Seit 382 wurden immer öfter vertragliche Regelungen (foedera) zwischen der römischen Reichsregierung und Gruppen wie den Westgoten getroffen, die eine Ansiedlung dieser Krieger auf römischem Territorium zur Folge hatten. In den internen Konflikten, die Westrom seit 395 plagten, wurden solche Kampfverbände immer öfter eingesetzt. Auch Franken wurden auf römischem Boden angesiedelt und übernahmen als Foederaten unter anderem Aufgaben des Grenzschutzes im Nordosten Galliens. Nach dem Rheinübergang von 406 und dem Eindringen der Vandalen und Sueben in das Westreich zeichnete sich in Gallien erstmals ein möglicher Zusammenbruch der römischen Verwaltungsordnung in Europa ab.


Rekonstruktion eines im Grab von Sutton Hoo gefundenen Prunkhelmes (7. Jahrhundert)
Karte der germanischen Stämme zwischen 50 und 100
Spangenhelm aus dem 6. Jahrhundert, Import aus oströmischen Werkstätten
Die herkömmliche Rekonstruktion der sogenannten Völkerwanderungen des zweiten bis fünften Jahrhunderts
Das nordwestliche Gallien und die Rhein- und Donaugrenze des Römischen Reiches zur Zeit des Kaisers Julian († 363)
Karte Europas in der Spätantike. Die traditionelle, heute umstrittene Rekonstruktion der „Völkerwanderungen“ ist mittels Pfeilen eingezeichnet. Kenntlich sind auch die Ansiedlungsräume germanischer foederati innerhalb des Imperium Romanum.
Darstellung Theodosius’ I. auf einer römischen Münze
Das römische Reich zum Zeitpunkt des Todes Theodosius’ I. 395 n. Chr.
Solidus mit dem Bildnis Konstantins III.
Solidus Constantius’ III., der erfolgreich Krieg gegen verschiedene Usurpatoren und Invasoren führte
Solidus, der zur Feier der Hochzeit Valentinians III. und Licinia Eudoxias geprägt wurde, der Tochter des oströmischen Kaisers Theodosius II.; auf der Rückseite wurden sie zu dritt in Hochzeitskleidung dargestellt
Ungefähre Ausdehnung des Hunnenreichs unter Attila und abhängige Stämme
Solidus des Petronius Maximus
Kaiser Avitus auf einem Tremissis
Tremissis des Anthemius
Tremissis des Julius Nepos
Maximale Ausdehnung des Ostgotenreiches in Italien und auf dem Balkan
Das tolosanische Reich der Westgoten um das Jahr 500
Die Votivkrone von König Rekkeswinth aus dem Schatz von Guarrazar
Siegelring mit dem Bildnis Childerichs I. und Aufschrift CHILDIRICI REGIS
Merowingische Fibel
Das Burgundenreich
Britannien um 600
Das Reich der Awaren
Das westgermanische Sprachgebiet um 580 n. Chr. mit langobardischer Präsenz in Norditalien
Der Mittelmeerraum zur Zeit Kaiser Justinians I. († 565)